Deutungshoheit und die (Willkommens)Kultur – Wer darf hier eigentlich mitreden?

Dieser Artikel ist zwar nicht ganz unser Thema, wir halten es aber dennoch für sinnvoll, im Zuge der aktuellen, zu großen Teilen unsachlich geführten Debatte, etwas entgegen zu setzen

Die aktuelle Flüchtlingssituation zeigt eindrucksvoll: nachhaltige Bekämpfung von Rassismus kann nur gelingen, wenn privilegierte Gruppen sich von ihrem bisherigen Monopol auf Deutungshoheit verabschieden. Von Bahareh Sharifi
Die rasante Veränderung der gesellschaftlichen Zusammensetzung stellt jetzt stärker denn je die Frage, wer eigentlich Mitspracherecht in dieser Gesellschaft hat. Im subventionierten Kulturbereich spiegelt sich Diversität tatsächlich noch immer nur marginal wieder. Künstler*innen, die sich aus eigenen Erfahrungen heraus mit den Themen Asyl, Flucht und Migration beschäftigen, wurde jahrzehntelang der ästhetische Gehalt ihrer Arbeit abgesprochen. Sie wurden meist lediglich als sozialpädagogische Projekte abgetan. Wenn jetzt aber deutsche Stadttheater – die übrigens immer noch die Verwendung von Blackface und dem N-Wort zu legitimieren versuchen – ihre Räume zur Beherbergung von Geflüchteten zur Verfügung stellen, dann werden sie dies tun, ohne im eigenen Personal jene zu finden, die Arabisch, Farsi, Dari, Paschtu oder Urdu neben der deutschen Sprache sprechen. Während im Bildungs- und Sozialbereich, in der Medizin, ja in vielen anderen Lebensbereichen diese Übersetzungsarbeit zum Teil von Mitarbeiter*innen selbst geleistet werden kann, kommt die selbstverschuldete, diverse Leerstelle im Kulturbereich derzeit deutlich zum Ausdruck.

Wie eng das gesellschaftliche Selbstverständnis mit der kulturellen Repräsentation verknüpft ist, zeigt der Blick über den Atlantik. Der andauernde Diskurs und die Bewegung um #BlackLivesMatter in den USA wird nicht umsonst an die Frage der medialen Sichtbarkeit gekoppelt, die sich u.a. in Protestwellen wie #OscarsSoWhite ausdrückte. Sehr prägnant hat zuletzt die Journalistin und Trans-Aktivistin* Janet Mock anhand von „Stonewall“, dem neuen Film von Roland Emmerich, den Zusammenhang zwischen der kulturellen Unsichtbarkeit und der hohen Mordrate an TransWomen of Color aufgezeigt. Während TransWomen of Color die Speerspitze der Selbstermächtigung und des Widerstands der LGBT-Bewegung gegen die Polizeigewalt im Sommer 1969 darstellten, portraitiert der Film diese Widerstandsbewegung aus der Perspektive eines weißen, schwulen Mannes. Sie erscheint als seine Geschichte. Die tatsächlichen Akteur*innen hingegen werden aus ihrer eigenen Geschichte hinausgeschrieben, unsichtbar gemacht, enthumanisiert.

Die nachhaltige Bekämpfung von Rassismus in Deutschland kann aber nur gelingen, indem privilegierte Gruppen sich von ihrem bisherigen Monopol auf die Deutungshoheit verabschieden. Erst dann lassen sich die Effekte von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen in ihrer ganzen Bandbreite verstehen. Rassismus wird sich aber auch nicht abbauen lassen, ohne die kulturelle Selbstrepräsentation marginalisierter Gruppen zuzulassen. Die voranschreitende, politische Entmündigung, die zum Teil paternalisierende Willkommenskultur und der Trend zu „irgendwas mit Flüchtlingen“-Projekten der Kulturinstitutionen weisen leider in eine andere Richtung. Dabei haben die Geflüchteten sehr deutlich aufgezeigt, dass sie ihre eigene(n) Geschichte selbst bestimmen und erzählen werden. Zuletzt als sie in Dresden die Unterbringung in einer Bundeswehrliegenschaft eigenmächtig über Nacht verließen oder im Zug von München nach Berlin die Notbremse zogen, weil sie eine andere Destination anvisierten. Sie werden, wie viele Asylsuchende und Migrant*innen vor ihnen, das Selbstverständnis dieses Landes verändern, ob die Mehrheitsgesellschaft das will oder nicht.
Originalartikel