Unterlassende Hilfeleistung im Görlitzer Park – Bericht über rassistische Polizeikontrolle in Berlin

Görlitzer Park Berlin, 21. August 2014, ca. 19:30. Ein 0815-Spätsommerabend im Görli. Der Park ist voll mit Leuten. Wir (R&Tx) sitzen auf einer Treppe. Ca. 30 Meter entfernt sammelt sich Polizei bei einer kleinen Gruppe von Menschen, überwiegend Schwarze. Es ist schwer zu erkennen, was los ist.

Wir nähern uns der Situation. Ein Schwarzer Mann liegt, nicht mehr ansprechbar, mit nacktem Oberkörper und einem Verband am Arm am Boden. Auf der Wiese sind Blutflecken. Vier bis fünf Polizeibeamt_innen stehen um ihn herum, machen nichts. Sie schicken die Schwarzen Menschen, die im Kreis um die liegende Person stehen, sehr bestimmt weg.

Wir sprechen einen Mann an, der dabei steht, fragen ihn was los ist und warum kein Arzt oder Rettungswagen da ist. Er weiß es auch nicht. Es habe wohl eine Auseinandersetzung zwischen dem Verletzten und einer anderen Person gegeben, dabei wurde Ersterer am Arm (mit einem Messer oder einer Flasche) verletzt. Wir sprechen einen der Beamten an und fragen, warum kein Arzt oder Sani vor Ort ist. Er antwortet, es seien vor 10 Minuten Sanitäter informiert worden und unterwegs. Auf Nachfrage von R, warum das denn mitten in Berlin so lange dauere, reagiert er abwehrend. Er fragt R., ob sie etwas mit der Situation zu tun habe und fordert sie auf, sich zu entfernen.

Nach einer halben Ewigkeit schlendern drei Sanitäter demonstrativ entspannt in Richtung des Verletzten. Eine der Polizist_innen sagt dem Sanitäter, es sei nur ein kleiner Schnitt. Die Sanitäter hantieren mit der Tasche, messen Blutdruck, stehen rum und vor allem passiert alles sehr langsam. Wir gehen zum Sanitäter und fragen ihn, warum immer noch nichts passiert und wo denn der Rettungswagen sei. Dieser antwortet, dass sie der RTW seien und der Wagen um die Ecke stünde und dass jemand schon eine Bahre holen würde. Tx sagt daraufhin zum Sani: „Er liegt hier schon seit 20 min. Wenn das eine weiße Person wäre, läge sie schon längst im Krankenhaus.“

Dann geht alles ganz schnell: Nicht nur, dass der Sani uns unterlassene Hilfeleistung vorwirft, jetzt fordert auch der Einsatzleiter Tx auf, ihren Personalausweis zu zeigen. Wir verweigern dies und fordern unsererseits die Dienstnummer der Einsatzleitung. Hierauf fängt seine Kollegin an, uns zu drohen. Sie stellt klar, dass nur sie allein entscheidet, was hier passiert und dass sie, wenn wir weiter so durch unsere Fragen den Einsatz behindern würden, Kolleg_innen ranholen und „eine Riesen-Polizeishow“ veranstalten wird. Auf das erneute Nachfragen nach der Dienstnummer bekommen wir diese „Riesen-Polizeishow“ dann auch.

Wir werden von einer Gruppe von Polizeibeamt_innen umkreist, in Richtung der bereitstehenden Einsatzwagen gedrängt und voneinander getrennt. R wird auf dem Weg zu den Einsatzwagen von der Beamtin plötzlich und unvermittelt am Arm gepackt und zieht diesen als Reaktion zur Seite weg. Sie wird daraufhin mit physischer Gewalt vom Einsatzleiter in Handschellen und unter Androhung weiterer Gewalt in einen der Einsatzwagen verfrachtet. Ihre Sachen werden durchsucht. Auch Tx ist mittlerweile in Handschellen und von Polizist_innen umkreist, ihr Rucksack und Handy werden durchsucht. Auf die Frage, was ihnen das Recht gebe, ihr Handy zu durchsuchen, antwortet der Beamte lediglich, dass er alles machen und sagen dürfe, ohne irgendetwas begründen zu müssen. Die Stimmung ist geprägt von impliziten Drohungen seitens der Beamt_innen uns gegenüber.

Nach ca. 30 Minuten darf R aussteigen und gehen. Wir bekommen die Info, dass alles weitere per Post kommen wird, Tx eine Strafanzeige wegen Beleidigung und R eine Strafanzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt bekommen würde. Es folgt ein Hinweis an Tx, dass sie dann gegen R aussagen müsse. Wir bekommen einen Platzverweis bis zum nächsten Tag 23:59 Uhr für den Görli.

Die Folgen

Sechs Monate nach dem Vorfall bekommt R Post vom Amtsgericht Berlin mit einem Strafbefehl wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Es wird eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen à 30 Euro festgesetzt, insgesamt also 900 Euro. R schaltet eine Anwältin ein, die Widerspruch einlegt und Akteneinsicht beantragt. Auf den Widerspruch folgt eine Einladung zur Hauptverhandlung.

Laut Akte gibt es mehrere Beamt_innen, die füreinander aussagen würden. Außerdem liegt ein Attest bei, das die geschädigte Beamtin sich direkt nach dem Vorfall hat ausstellen lassen. Die Diagnose des Urbanklinikums beschreibt ihre Verletzung als „Prellung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Unterarms“. Da die Chancen für R in einer Hauptverhandlung mit dieser beweistechnischen Ausgangslage eher schlecht aussähen, vereinbart sie mit der Anwältin, dass mit der Richterin über eine mögliche Einstellung gesprochen wird. Richterin und Staatsanwaltschaft lassen sich auf eine Einstellung ein, allerdings nur gegen die am Strafbefehl orientierte Geldauflage von 900 Euro. Im November 2015 erhält R den endgültigen Einstellungsbescheid.

Im Februar 2016 bekommt R erneut Post, diesmal vom Polizeipräsidenten Berlin. Es handelt sich um eine Aufforderung, Schadensersatzleistungen in Höhe von insgesamt knapp 450 Euro zu zahlen. Diese ergäben sich aus dem Lohnausfall der „verletzten“ Beamtin, die sich nach dem Vorfall 6 Tage lang krank schrieben ließ (wie die Akteneinsicht zeigte, direkt vor ihrem geplanten Urlaub) sowie der entstandenen Arztkosten. Ein Hinterfragen der Schwere der angeblich erlittenen Verletzung der Beamtin und der verhältnismäßig langen Krankschreibung durch die Anwältin bleibt ohne Erfolg.

Im Juli 2016 erfolgt an R eine weitere Aufforderung zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 200 Euro.

Die Kosten des Strafverfahrens und der Einstellung, des anschließenden zivilrechtlichen Verfahrens sowie des Schmerzensgeldes belaufen sich für R auf 1.620 Euro, inklusive der Anwältinnenkosten sind es knapp über 2.000 Euro.