Er habe einen Flüchtling gequält, prahlte ein Polizist. Anklage wegen Körperverletzung im Amt will die Staatsanwaltschaft nicht erheben. Von Andreas Wyputta
HANNOVER taz | „Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig.“ Per Whatsapp hat ein Bundespolizist aus Hannover so mit der Misshandlung von Flüchtlingen geprahlt. „An den Fußfesseln“ habe er sein Opfer durch die Wache am Hauptbahnhof der niedersächsischen Landeshauptstadt geschleift: „Das war so schön“, schrieb der heute 40-jährige Beamte.
Stattgefunden haben soll diese Folter im März 2014 – aufgedeckt wurde sie im Mai vergangenen Jahres vom NDR. Getroffen hat es offenbar einen 19-jährigen Flüchtling. Sein Vergehen: Er konnte sich im Bahnhof nicht ausweisen. Glaubt man dem Bundespolizisten, war der Mann aus Afghanistan nicht sein einziges Opfer.
Ein mit seinem Handy aufgenommenes Foto zeigt einen jungen Migranten aus Marokko auf dem Boden einer Zelle. Seine Hände sind gefesselt, das Gesicht ist schmerzverzerrt. „Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. Vom Boden“, schrieb der Beamte dazu.
Was folgte, war ein Aufschrei der Empörung. Flüchtlingsverbände, Politiker und Polizeigewerkschaften verurteilen den „Folterskandal“. Die Vorwürfe gegen die Bundespolizei seien „erschütternd“, urteilte die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz: Kaum jemand konnte glauben, dass kein einziger Kollege des Täters die Gewalt mitbekommen hatte. „Ungeheuerlich“ seien die Vorwürfe, befand Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil. Er erwarte eine „rückhaltlose“ Aufklärung und eine „harte“ Reaktion, sollten sie sich bewahrheiten.
Doch diese harte Reaktion soll es offenbar nicht geben. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Hannover jetzt Anklage gegen den Bundespolizisten erhoben – aber ausdrücklich nicht wegen Körperverletzung im Amt. „Anhaltspunkte für die systematische Misshandlung von Personen, die sich im Polizeigewahrsam befanden, konnten nicht festgestellt werden“, so die Ermittler.
Deckt sich die Polizei selbst?
„Nach äußerst umfangreichen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft“ sei das Verfahren, dass sich gegen den 40-Jährigen und fünf weitere Beamte richtete, „mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt“ worden. „Die Angaben des Zeugen aus Marokko und der Beschuldigten zum möglichen Tatverlauf waren widersprüchlich“, so Staatsanwaltin Anna Tafelski zur taz.
Das Foto des Marokkaners habe der Bundespolizist „unter Verwendung dummer und unrichtiger Kommentare verwandt, wodurch ein völlig falscher Eindruck entstanden ist“, heißt es im Einstellungsbeschluss der Ermittler. Vor dem Amtsgericht Hannover soll sich der Bundespolizist lediglich wegen illegalen Waffenbesitzes und dem Besitz von Kinderpornos verantworten .
„Völlig unprofessionell“ sei das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, kritisiert deshalb der Anwalt des Mannes aus Marokko, Matthias Waldraff: Seit einem Dreivierteljahr bemühe er sich um Akteneinsicht – gewährt wurde sie ihm bis heute nicht.
Die Erklärung des Bundespolizisten, er habe sein Opfer nur fotografiert, um zu beweisen, dass er den Mann eben nicht durch Tritte gegen den Oberkörper verletzt habe, sei nicht plausibel: Der Gefesselte war voll bekleidet, Verletzungen wären nicht zu erkennen. „Das lässt nur einen Schluss zu: Dieses Verfahren soll ohne Störung durch Opferanwälte möglichst schnell beendet werden“, sagt der Jurist, der 2013 Oberbürgermeisterkandidat der CDU Hannover war. „Da soll der Deckel drauf“, glaubt Waldraff – und kündigt eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle an.
Denn geschützt wird durch die Einstellung nicht das Opfer, sondern die Bundespolizei: „Es ist zu befürchten, dass sich die Polizei selber deckt“, meint nicht nur der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Kai Weber. Auch Bernd Mesevic von Pro Asyl fürchtet, dass eine Diskussion um Übergriffe im Polizeigewahrsam um jeden Preis vermieden werden soll: „Durch die Anklage wegen illegalen Waffenbesitzes und Kinderpornographie wird der Täter aus dem Dienst entfernt – das Problem der strukturellen Gewalt aber bleibt.“