Dieses Interview ist in der Juli-Ausgabe des Magazins „Der Schlepper“ erschienen, welches vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein herausgegeben wird.
Ende Mai dieses Jahres haben in Kiel zwei Seminare zu rassistischer Polizeigewalt stattgefunden, die vom ASTA der Universität Kiel, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein und der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein veranstaltet wurden. Aus diesem Anlass hat der Geschäftsführer der Böll-Stiftung, Heino Schomaker, ein Interview mit den beiden Akteur*innen der Organisation „KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, geführt.
Patrik (KOP Bremen) und Johanna (KOP Berlin) haben an unterschiedlichen Publikationen und Bildungsveranstaltungen zu diesem Thema mitgewirkt. Die Kampagne befasst sich weiterhin mit der Polizeipraxis des Racial Profiling, sie dokumentiert rassistische Polizeiübergriffe begleitet die Opfer zu Beratungsstellen und sammelt Geld für einen Rechtshilfefonds.
Die Organisation KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt kennt man hier in Schleswig-Holstein bisher kaum. Könnt ihr eure Arbeit kurz vorstellen?
Grundsätzlich versuchen wir in unserer Arbeit, die Position und Lobby von Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt zu stärken. Dabei versuchen wir, die Normalität des mehrheitsgesellschaftlichen Bildes der Polizei und das Bild vom sogenannten kriminellen Habitus von People Of Color zu durchbrechen. Auch stellen wir uns entschlossen gegen die Einzelfallthese, dass rassistische Polizeigewalt nur ein Phänomen einzelner Beamten ist – und benennen und kritisieren die polizeiliche Praxis des racial profiling als das was es ist: eine rassistische Polizeipraxis und institutioneller Rassismus.
Das heißt in unserer Arbeit konkret, dass wir den Betroffenen in Ohnmachtssituationen und bei Übergriffen seitens der Polizei praktische Solidarität anbieten. Wir stehen dabei parteilich an der Seite der Betroffenen und unterstützen sie bei den Schritten, die sie ergreifen wollen – in Form von kostenloser Beratung, auch im Notfall 24/7. Wir dokumentieren die Fälle von rassistischer Polizeigewalt – um diese nachhaltig sichtbar zu machen und eine „andere“ -oder überhaupt eine – Statistik zu archivieren. Wir bieten juristische und solidarische Begleitung von Prozessen an. Und wenn die Betroffenen Prozesskosten zu zahlen haben , bieten wir finanzielle Unterstützung durch einen Rechtsfonds, den wir in den letzten Jahren aufgebaut haben.
Ein ebenfalls großer Schwerpunkt ist die Vernetzung mit verschiedensten Gruppen und Öffentlichkeitsarbeit in Form von Artikeln, Redebeiträgen, Veranstaltungen, Interviews etc., um systematisch das Vorgehen der Polizei und Justiz offen zu legen.
Am Wochenende seid ihr in Kiel gewesen, um Workshops für Betroffene und Zeug*innen von rassistischen Polizeikontrollen zu geben. Was ist damit eigentlich genau gemeint?
In den Workshops thematisieren wir das System rassistischer Polizeigewalt und den alltäglichen Ausnahmezustand für die Betroffenen. Ausgehend von ihren eigenen Perspektiven entwickeln wir gemeinsam Schritte praktischer Solidarität. Viele Menschen, die bei uns an den Workshops teilnehmen, vor allem auch Zeug*innen, sind einfach ratlos und wissen nicht, wie sie sich bei Kontrollen der Polizei verhalten und einmischen können. Wir versuchen dann gemeinsam Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und vor allem auch Strategien zu entwickeln, wie jede*r auf sich und andere aufpassen kann. Wir geben den Workshop mit zwei unterschiedlichen Handlungsperspektiven für (potenziell) Betroffene und Zeug*innen von rassistischer Polizeigewalt.
Von welchen Erfahrungen haben die Teilnehmer*innen denn berichtet?
Die Teilnehmer*innen berichteten von verschiedenen und doch in ihrer Logik sich ähnelnden Begegnungen mit der Polizei – von unbegründeten Passkontrollen, Aggressionen der Beamten, diskriminierenden Beschimpfungen und Beleidigungen, gewaltsamen Festnahmen, Misshandlungen und Übergriffen. Für die Opfer ist die rassistische Behandlung seitens der Polizei dabei oft schon zur Gewohnheit geworden. Viele wehren sich nicht: Sei es weil es von vornherein aussichtlos erscheint, gegen Polizeibeamte juristisch vorzugehen, sei es aus aufenthaltsrechtlichen Gründen oder wegen psychischen Schäden, die ein Übergriff häufig nach sich zieht.
Was macht das mit den Betroffenen, wenn sie hier aufgrund rassistischer Zuschreibungen mit racial profiling konfrontiert werden?
Sie sind jedes mal mit einer Form von Belästigung und Nötigung konfrontiert und fühlen sich allein gelassen. Die Macht von racial profiling liegt häufig darin, dass ihre Verursacher*innen in dem Moment die rassistische Intention der Kontrolle nicht wahrnehmen, sie verleugnen und rationalisieren. Die Betroffenen wissen durch diese subtile Form rassistischer Konfrontation nicht immer, ob ihre Wahrnehmung zutreffend ist, das heißt, sie sind unsicher, ob sie rassistisch diskriminiert worden sind oder nicht. Für viele stellt die Praxis des racial profiling eine derartige Normalität dar, der sie einfach nur aus dem Weg gehen wollen. Das schlägt sich dann unter Umständen darin nieder, dass die Betroffenen ihren ihnen zugeschriebenen Code des Kriminalisierten akzeptieren und im öffentlichen Raum nicht auffallen wollen, was ihre Bewegungsfreiheit beträchtlich einschränkt. Ihre Rassismuserfahrungen stehen dann im Zusammenhang mit traumatischen Stressreaktionen. Je nach Stärke und Heftigkeit der erlebten Gewalt können sich diese auch manifestieren und sich im schlimmsten Falle in eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.
Anfang diesen Jahres gab es in den Medien eine Auseinandersetzung um rassistische Polizeikontrollen, weil in Köln zum Jahreswechsel großflächig Menschen kontrolliert wurden, die vermeintlich „nordafrikanisch“ aussehen. Hat sich seitdem etwas geändert?
An der rassistischen Praxis der Polizei hat sich nichts geändert. Racial profiling gab es schon vorher und racial profiling gibt es auch weiterhin und nicht erst seit den Geschehnissen von Köln. Was wir am Beispiel von Köln gesehen haben war ein Diskurs, der in den Mainstream-Medien einen Aufwind erlebt hat und nun aber wieder eingeschlafen ist. Nach der ersten Skandalisierung ist die Normalität wieder eingetreten und der Ruf nach Kontrolle und Überprüfung ist eher noch stärker geworden. Jedoch ist es der Arbeit von vielen Initiativen und Individuen zu verdanken, dass dieser Diskurs stattgefunden hat und auch Dinge benannt werden konnten als das, was sie sind: Rassismus.
Diese Schilderungen legen nahe, dass es sich bei racial profiling um ein strukturelles Problem der Polizei handeln kann?
Ja, das ist richtig. Rassismus ist strukturierendes Moment unserer Gesellschaft und Polizist*innen und ihre Institutionen sind Teil dieser Gesellschaft. Die Praxis des racial profiling entspringt also einem institutionellen Rassismus oder auch strukturellem Rassismus. Der Begriff weist darauf hin, dass Rassismus in die Institutionen eingeschrieben ist, also sich systematisch in ihren Praktiken und Anordnungen organisiert. Beispielsweise in ihren Gesetzen, Normen und internen Logik, unabhängig davon, inwiefern Akteure innerhalb der Institutionen absichtsvoll handeln oder nicht. Er kann als ein Gegensatz zum personellen Rassismus verstanden werden, der sich beispielsweise im alltäglichen Rassismus und im Rechtsextremismus zeigt.
Betroffenenorganisationen fordern, dass Polizei und Staat aktiv gegen racial profiling vorgehen müssen. Hat sich diesbezüglich schon etwas getan?
Polizei und Staat sind Teil der Reproduktion von institutionellem Rassismus und in diesem fest verankert. Es braucht für das Problem vielmehr eine Außenperspektive bzw. eine Perspektive und Mitsprache der Betroffenen selbst. Es gibt gute reformistische Anstöße, womit die Polizei für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden und womit die Systematik im Vorgehen von Polizei und Justiz offengelegt werden kann, wie beispielsweise das Einführen eines Formulars zum Notieren, welche Menschen mit welchen Hintergründen vermehrt von der Polizei kontrolliert werden, um die Statistik der Polizei neu deuten zu können. Grundsätzlich sehen wir unsere Arbeit jedoch nicht darin, Polizeiarbeit besser zu machen, das sind nicht unsere Forderungen. Wir versuchen, uns für die Betroffenen stark zu machen und versuchen, ihre Stimmen zu hören und ihnen Gehör zu geben.
Werden die Stimmen von Betroffenen im Rahmen der Polizeiausbildung gehört?
Bei der Polizei gibt es eine sogenannte Menschenrechtsbildung für Polizei, die findet aber nicht im Rahmen der Polizeiausbildung statt. Auch mit dem Thema Rassismus setzt sich die Polizei durch Schulungen und Fortbildungen auseinander. Speziell zum Thema racial profiling jedoch nur zum Verhalten bei Rassismusvorwürfen gegen die Polizei. Da wird dann weniger geschult, wieso diese Kontrolle so gemacht wird wie sie gemacht wird, sondern vielmehr, wie Menschen, die die Kontrolle als rassistisch benennen, ein Strick in Form von Beamtenbeleidigung gedreht wird. Also letztlich wird danach geschaut, dass Polizeiarbeit so gemacht werden kann, wie sie immer schon gemacht wurde. Die Stimmen der Betroffenen werden dabei kaum angehört.
Welche Erfahrungen hat KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt bisher mit der Polizei gemacht?
Da kann ich an dieser Stelle nur über die Gruppe KOP Bremen sprechen. Und da wird sich momentan eher beschnüffelt, es gibt keinen direkten Kontakt. Das ist bewusst von uns gewollt. Wir können nur von den Erfahrungen von den Betroffen berichten und über das Bild, was die Polizei in die Öffentlichkeit trägt.
Wie können denn jene Teile der Gesellschaft, die nicht selber betroffen sind, hier unterstützend tätig werden?
Durch Unterstützung in Gruppen, Unterstützung der Betroffenen, sich solidarisch zeigen und Kritik an der Praxis der Polizei ausüben. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt wird ausschließlich durch freiwillige unentgeltlich arbeitende Aktivist_innen getragen. Der Rechtshilfefonds wird aus Spenden und aus Einnahmen von Solidaritätsveranstaltungen finanziert. Werdet gerne bei der Kampagne aktiv. KOP ist eine offene Gruppe. Alle Spenden werden ausschließlich für die Unterstützung der Betroffenen eingesetzt.
Mögliche Anlaufstellen:
In Kiel:
Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein
Zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe
In Bremen:
KOP Bremen
soliport
In Berlin:
KOP Berlin
Reach Out Berlin