Oury Jalloh verbrannte 2005 im Dessauer Polizeirevier: Initiative will Mordverdacht mit weiterem Gutachten untermauern
Vieles deutet darauf hin, dass der aus Sierra Leone stammende Flüchtling Oury Jalloh am 7. Januar 2005 im Polizeirevier Dessau (Sachsen-Anhalt) angezündet wurde. Binnen 20 Minuten verbrannte der an Händen und Füßen Gefesselte in einer Zelle bis zur Unkenntlichkeit. Zutritt zum Gewahrsam hatten nur Polizisten. Wie im kürzlich von der ARD ausgestrahlten »Tatort« »Verbrannt«, der an den Fall anknüpfte, hat die Polizei eine Mauer des Schweigens errichtet. Im Gegensatz zum Krimi im Ersten fehlen beim echten Tatort arbeitswillige Ermittler. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hält sich seit Jahren bedeckt und reagiert bestenfalls auf massiven Druck. Jalloh habe das Feuer selbst gelegt, beschwört sie trotz gegenteiliger Indizien. Wird in Sachsen-Anhalt ein Mord vertuscht? Ja, glauben die Mitglieder der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«. In ihrem Auftrag haben Rechtsmediziner und Brandexperten ein neues Gutachten zum Fall erstellt. Am Dienstag wollen sie ihre Ergebnisse im »Haus der Demokratie und Menschenrechte« in Berlin präsentieren.
Laut Initiative sollten die Sachverständigen sich genauer mit Ungereimtheiten befassen: Neben der kritischen Würdigung gutachterlicher Bewertungen werden sie Fragen zum offensichtlich nachträglich manipulierten Feuerzeug und zu möglichen Spuren von Brandbeschleunigern beantworten. Mit dem Feuerzeug, von dem verschmorte Reste gefunden wurden, soll Oury Jalloh die nicht brennbare Unterlage und sich selbst angezündet haben. Fehlende Spuren indizieren jedoch, dass das Utensil weder in der Hand des Opfers noch in der Zelle gewesen sein kann.
Von den Experten werden zudem bisherige »die für Brandleichen sehr untypischen Laborbefunde, wie fehlendes Kohlenmonoxid und unauffällige Stresshormonspiegel in das Gesamtbild des Falls« eingeordnet. Beides deute darauf hin, dass Oury Jalloh bereits bewusstlos gewesen sein müsse, als das Feuer ausbrach, so die Initiative. Einbezogen werden sollten auch zwei Gutachten, welche die Aktivisten 2005 und 2013 ebenfalls auf eigene Kosten veranlasst hatten. Das betrifft zum einen eine zweite Autopsie der Leiche, bei der Anzeichen für mögliche Misshandlungen festgestellt wurden. Daneben geht es um Ergebnisse des irischen Brandexperten Maksim Smirnou. Er hatte sie im November 2013 öffentlich vorgestellt. Bei seinen Experimenten in einer nachgebauten Zelle hatte Smirnou eine nach dem Original gefertigte Matratze mit feuerfestem Kunstlederbezug und einen Schweinekadaver verwendet. Sein Ziel war es, das auf Tatortfotos ersichtliche Brandbild zu erzeugen. Dies gelang ihm erst, als er die Oberhülle der Matte abtrennte, Füllstoff und Schweinekörper mit fünf Litern Benzin übergoss und anzündete.
Smirnous Analysen hatten den Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann ins Schleudern gebracht. Gegenüber der Presse sprach er von »neuen, überraschenden, teils erschreckenden Erkenntnissen«. Erstmals berichteten danach auch Mainstreammedien ohne Anführungsstriche von einem mutmaßlichen Mord. Zu einem eilig Anfang April 2014 bekanntgegebenen Todesermittlungsverfahren schweigt sich Bittmanns Behörde jedoch aus. Von einer »Tat« will sie nicht sprechen. Es stehe nicht fest, dass eine solche begangen wurde, teilte Sprecher Christian Preissner Anfang Oktober auf jW-Nachfrage mit. Ob ein Staatsanwalt an der Pressekonferenz an diesem Dienstag in Berlin teilnehmen werde, wollte er nicht sagen. Von dieser wisse man gar nichts, hieß es sogar. Vorige Woche bekräftigte Bittmann diese Darstellung.