Arbeitskreis kritischer Jurist*innen am 17. September 2015
Am 12. Juni 2014 wurde in Bremen die Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen eingeführt. Seitdem müssen Polizist_innen bei so genannten Großlagen eine individuelle fünfstellige Nummer sowohl im linken Brustbereich, als auch auf dem Rücken tragen. Wir haben die Einführung damals als einen ersten Schritt zu mehr Aufklärung von Straftaten im Amt begrüßt. Polizist_innen müssen, als ausführendes Organ des Staates, besonderer Kontrolle der Zivilgesellschaft, der Presse und auch der Gerichte unterstehen. In einheitlicher Uniform und häufig mit Sturmhaube vermummt, ist eine Identifizierung einzelner Beamt_innen, die den Rahmen der legalisierten Gewalt überschritten haben, oft unmöglich. Damit wird die Prüfung solcher Sachverhalte und die Sanktionierung von Fehlverhalten faktisch verhindert.
Bereits bei der Einführung der Kennzeichnungspflicht fragten wir die Innenpolitischen Sprecher der Bremer Regierungsparteien SPD und Grünen an, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um ein Verdecken der Kennzeichnung zu verhindern. Sükrü Senkal, Innenpolitischer Sprecher der SPD, antwortete 2014 hierzu:
„Es besteht keinerlei Veranlassung davon auszugehen, dass diese Vorschrift von Betroffenen umgangen werden wird. Sollten sich Nachbesserungsbedarfe ergeben, müsste man sich diesen selbstverständlich widmen!“
Am 12. September 2015, nachdem der sogenannte „Tag der Patrioten“ in Hamburg in letzter Instanz durch das BVerfG verboten wurde, versuchten Faschist_innen stattdessen nach Bremen zu mobilisieren. In diesem Zusammenhang begegnete uns eine etwa 20-köpfige Gruppe von Beamt_innen der Bremer Polizei. Mindestens acht Beamt_innen hatten bis zu 3 der 5 Ziffern auf der linken Brust durch Funkgeräte, Helme, Kabelbinder und ähnliches verdeckt. Eine Identifizierung anhand der Nummer auf der Brust war somit nicht mehr möglich.
Das Ziel der Kennzeichnungspflicht, das Handeln der Polizei effektiv kontrollieren und dokumentieren zu können, wurde damit unterbunden. Auf den Umstand angesprochen, erwiderten die Beamt_innen zunächst zutreffend, dass sie verpflichtet seien, Namen und Dienststelle zu nennen und sie ihre Identifikationsnummer ebenfalls auf dem Rücken trügen. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass Polizist_innen, die die Grenzen ihrer Berechtigungen überschritten haben, ihren Namen nicht nennen werden, um sich so der Strafverfolgung zu entziehen. Erfahrungsgemäß geschehen solche Überschreitungen häufig im Rahmen körperlicher Auseinandersetzungen. Die Möglichkeit, die Nummer auf dem Rücken zu erkennen, besteht daher in der Regel für Betroffene von Straftaten im Amt nicht. Beamt_innen haben selbst hingegen keine Hindernisse bei der Ermittlung gegen Personen, die einer Straftat beschuldigt werden.
Die Kennzeichnungspflicht sollte gerade dieses Ungleichgewicht aufheben und Betroffenen von ungerechtfertigter Polizeigewalt die Möglichkeit einräumen, auch Fehlverhalten von Beamt_innen für ein mögliches Strafverfahren benennen zu können und so auch im Interesse der Polizeibehörden zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen.
Des Weiteren führten die angesprochenen Polizist_innen aus, dass eine Dienstvorschrift das Anbringen auf der linken Brust vorschreibe und Material wie Funkgeräte und Helme irgendwo untergebracht werden müssten. Aus diesem Grund würde es passieren, dass die Nummer etwa durch Helme verdeckt würde. Unabhängig davon, ob diese Aussage den Tatsachen entspricht, muss durch die Verantwortlichen sichergestellt werden, dass die Kennzeichnungspflicht objektiv ihren Zweck erfüllt. Entgegen der Annahme von Sükrü Senkal, die Vorschrift könne nicht umgangen werden, beweist die Praxis das Gegenteil. Folglich muss die Vorschrift entsprechend angepasst werden.
Besonders stößt in diesem Fall zudem auf, dass durch die Polizei vorliegend anscheinend Rechtsvorschriften schlichtweg ignoriert werden, wenn sie den betreffenden Beamt_innen nicht genehm sind.
Am selben Tag wurden nämlich hunderte Antifaschist_innen in einer Bahn von Hamburg nach Bremen mit der Begründung, es bestehe der Verdacht des „Erschleichens von Leistungen“, am Bahnhof Buchholz festgehalten. Da durch eventuell entgangene Fahrkarten-Entgelte für das Privatinteresse der privaten Eisenbahngesellschaft „metronom“, Gefahr bestehe, sei es notwendig, alle Insass_innen des betreffenden Zuges auf unbestimmte Zeit festzuhalten, hieß es dazu von Beamt_innen.
Zwar waren an dieser, unserer Meinung nach höchst fragwürdig rechtfertigbaren, Freiheitsentziehung auch Beamt_innen aus Bremen beteiligt, jedoch spielt die Frage, ob an beiden Vorfällen nun auch teils die gleichen Beamt_innen beteiligt waren oder nicht, gar keine Rolle.
Es zeigt nur wieder einmal ganz deutlich, dass bei polizeilichen Einsätzen vielmehr systematisch die Anwendung von Recht je nach zu schützendem Rechtsgut ganz unterschiedlich ausfällt. Der legale Rahmen der Handlungsbefugnisse wird dabei teilweise nach dem Gutdünken der jeweiligen Einsatzleiter_innen und Beamt_innen ausgelegt.
Wenn Bremer Beamt_innen die Pflicht haben, sich bei Großlagen ersichtlich und gut erkennbar, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Hinterseite zu kennzeichnen, dann müssen sie, die sich doch so oft als „Hüter von Recht und Ordnung“ begreifen, dies auch tun.
Denn auf der anderen Seite wäre ein Fahrschein, den eine der betroffenen Antifaschist_innen in Buchholz unter Verdeckung mit dem Jackenärmel vorgezeigt hätte, sicherlich auch nicht unkommentiert als gültig anerkannt worden.
Wir fordern aus diesen Gründen, jede Form der Verdeckung von Kennzeichnung zu unterlassen, sowie die Nachbesserung bei der Umsetzung der Kennzeichnungspflicht, sodass diese ihr Ziel effektiv erreicht.
Originalartikel hier