Berlin online vom 06. Juni 2015
Überall in den Zeitungen kann man Berichte über rassistische Polizeigewalt in den USA lesen. Gibt es dieses Problem auch hier in Berlin? Und wie äußert sich das beispielsweise?
Aktivistin KOP: Es äußert sich in der gleichen Weise, z.B. als Folge von „Stop und Search“. Diese rassistische Kontrollpraxis betrifft MigrantInnen und Afrodeutsche, TürkInnen und AraberInnen, Geflüchtete und Roma – kurz: Menschen, die nicht aussehen wie „gute Deutsche“. Aus ihnen macht die Polizei und ihr System Verdächtige, Flüchtende, Kriminelle. In Berlin darf die Polizei ohne Angabe von Gründen Menschen anhalten und kontrollieren. Im Rahmen von verdachtsunabhängigen Kontrollen werden Menschen kontrolliert, denen spezielle Arten von Kriminalität anhand bestimmter äußerer Merkmale zugeordnet werden. Damit sind ihre Rechte faktisch außer Kraft gesetzt. Diese rassistische polizeiliche Praxis kann auch deshalb stattfinden, weil sie von weiten Teilen der Gesellschaft befürwortet oder zumindest akzeptiert wird. Ständig werden in den Medien, in der Politik, in der Wissenschaft und im Alltag rassistische Vorurteile wiederholt, die People of Colour in Verbindung mit Kriminalität bringen. So wird das Bild erzeugt, dass von Rassismus Betroffene kriminell seien und deshalb auch von der Polizei, dem „Freund und Helfer“, hinterfragt und kontrolliert werden dürfen.
Wo fängt ein rassistischer Polizeiübergriff an?
Schwer zu sagen, vielleicht bei der Definition von schwarzen Menschen und sichtbaren „ethnischen“ Minderheiten als potentiell kriminell?
Ihr dokumentiert rassistische Polizeigewalt in Deutschland seit 2002. Wie viele Vorfälle gab es seitdem?
Mehr als 200 Fälle (wobei sich unsere Dokumentation vor allem auf Berlin konzentriert).
Was bedeutet „Racial Profiling“?
Racial Profiling bedeutet die Zuschreibung von Eigenschaften entlang des äußeren Erscheinungsbildes, es ist eine rassistisch diskriminierende Profilbildung. Die Polizei greift dabei gezielt Personen aufgrund ihres vermeintlich nicht-deutschen Aussehens, ihrer Hautfarbe, Sprache, unterstellten Herkunft oder Religion heraus. In den konkreten Fällen, z.B. im Görlitzer Park, bedeutet das die Verknüpfung einer bestimmten Tätigkeit (Drogenverkauf) mit der schwarzen Hautfarbe. Andersherum bedeutet diese polizeiliche Kontrollpraxis, dass weiße Menschen so gut wie nie in Zügen oder U-Bahnen, Bahnhöfen, Parks, Fußgängerzonen oder anderen Orten nach ihrem Ausweis gefragt werden oder mit einer Durchsuchung rechnen müssen.
Hat Diskriminierung durch die Polizei auch etwas mit der aktuellen Gesetzeslage zu tun? (Verdachtsunabhängige Kontrolle, Anti-Terrorgesetzgebung, Residenzpflicht, etc.)
Ja. Die gesetzlichen Grundlagen fördern und verursachen gleichzeitig Racial Profiling. Verdachtsunabhängige Kontrollen sind nie verdachtsunabhängig sondern folgen einem rassistischen Verdacht. In Berlin ist das im Allgemeinen Sicherungs- und Ordnungsgesetz § 21 (ASOG) geregelt. Laut § 21 II Nr. 1 ASOG darf die Polizei auch dann die Identität feststellen, wenn sich die Person an einem sog. „gefährlichen Ort“ aufhält. Dabei wird der Polizei ein großer Entscheidungsspielraum eingeräumt in Bezug auf die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Ortes: Das können ganze Straßenzüge oder kleinere Regionen, aber auch Parks, Plätze oder geschlossene Räumlichkeiten sein.
Wie bewertet ihr das Polizei-Konzept im Görlitzer Park (Drogenkontrolle oder Ausweis-/Statuskontrolle)?
Wir werten das Konzept als Schikane aller schwarzen Menschen; im Zuge dessen entstehen „No-Go-Gebiete“ für schwarze Menschen.
Stichwort Ausweiskontrolle: Die Argumentation der Polizei ist oft, dass AusländerInnen mehr Straftaten begehen. Warum ist es immer noch so, nach jahrhundertelanger Einwanderung, dass Leute (in diesem Fall die Polizei) andere Menschen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes „zu Deutschland“ oder „nicht zu Deutschland“ zählen?
Wenn wir den Vergleich z.B. zu USA anstellen, dann wird deutlich, dass Rassismus, rassistische Zuschreibungen und damit auch „Racial Profiling“ kein deutsches Phänomen sind. Eine ausführliche Erklärung der Gründe für einen in Deutschland fest verankerten Alltagsrassismus würde den Rahmen hier sprengen. Ein Teil des Problems ist aber sicherlich auch die rassistische Polizeipraxis, die zu einer self-fulfilling prophecy wird: Wir sehen hier in Berlin jeden Tag, wie schwarze Menschen kontrolliert werden und dabei verfestigt sich in vielen Köpfen das Prinzip „schwarz = kriminell“. Und gleichzeitig erhöht diese Kontrollpraxis statistisch die Zahl an Straftaten, die von schwarzen Menschen begangen werden – einfach, weil sie viel öfter kontrolliert werden.
Warum sind viele Leute in Berlin (Deutschland) bezüglich Rassismus immer noch nicht sensibilisiert?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Gibt es denn irgendwo Leute, in irgendeinem Land, die besonders sensibilisiert sind? Ich denke nein.
KOP setzt sich für die Aufklärung und öffentliche Verbreitung rassistisch motivierter Polizeiübergriffe ein. Wie geht Ihr vor?
Wir haben viele unterschiedliche Aktivitäten. Von der Straße (Demos und Kundgebungen) über die akademische Analyse und Kritik bis hin zur Unterstützung von Opfern rassistischer Polizeipraxis im Gerichtssaal. Unser Ziel ist es, Menschen in ihrem Kampf gegen Rassismus zu unterstützen, besonders gegen Rassismus in der Polizei. Darüber hinaus versuchen wir mit unserer Arbeit, eine breitere Öffentlichkeit auf das Problem des strukturellen Rassismus in Polizei und Justiz aufmerksam zu machen.